Von der Bachelorthesis zum Start-up: Aus der Idee, die Compliance zu verbessern

Man kommt nicht vorbei an der Bachelorthesis, wenn man sich für einen Bachelorstudiengang entscheidet. Auch im Studiengang Optometrie gehört die Auswahl eines klinisch relevanten Themas und die wissenschaftliche Bearbeitung dessen dazu.

Gewinner der Preise des Start-up-Forums Aargau 2024. (Bild: CH Media/Daniel Vizentini)

Das sich meine Bachelorarbeit mit dem Trockenen Auge beschäftigen sollte, war mir schon ziemlich früh klar. Ich selbst leide schon seit Jahren an mal mehr oder weniger starken und typischen Symptomen wie Brennen, Jucken, Tränen, Druck- und Zugschmerz um die Augen.

Als seit langem in der Optikbranche tätigen Fachperson weiss ich genau, welche Wässerchen und Mittelchen helfen würden und gehöre trotzdem genau zu den Personen, wie viele unserer Kunden und Kundinnen auch, die sich nur sporadisch um das Wohl ihrer Augen bemühen. Ich nutze ab und zu verschiedene hyaluronhaltige Augentropfen und -gels, meistens dann, wenn das Brennen nicht mehr auszuhalten ist.

Die gute, alte Lidhygiene in drei Schritten (Wärmen, Massieren, Reinigen), ja die… Die habe ich mal für ganze zwei Monate regelmässig jeden Abend (und wirklich jeden Abend!) angewendet. Aber dann irgendwann, kam nach den zwei Monaten der Tag „X“ und mittlerweile mache ich die Lidhygiene immer noch regelmässig – alle paar Wochen. Immerhin!

Genauso stiefmütterlich wie ich, handeln viele unserer Patienten und Patientinnen. Ein Wunder ist das nicht. Denn wer hat schon kontinuierlich jeden Abend Zeit und Lust (Lust vor allem!) das Prozedere gewissenhaft durchzuführen und circa 15 Minuten seiner wertvollen Zeit zu opfern. „Hut ab!“ wer das macht. Hinzu kommt, dass sich die Symptome meistens bessern und wie das dann so ist im Leben… Man hört auf, wenn es am schönsten ist.

Aus dieser Erfahrung heraus machte ich mich für die Bachelorthesis auf die Suche nach Studienberichten zur Compliance der Lidhygiene, welche alle bestätigen, dass diese Basistherapie etwas bringt, wenn man sie regelmässig anwendet. Genau das ist schwierig, wie diese Studien auch belegen1,2,3. Zusammen mit meiner Studienkollegin, Anja Tischhauser, kamen wir somit darauf, dass es doch grossartig wäre, mit unserer Bachelorarbeit einen möglichen Weg zu finden, der die Compliance verbessert.

Der Rahmen wird gesprengt

Nach intensiven Brainstormingstunden und Marktrecherche überzeugten uns bestehende Anwendungsmöglichkeiten der Lidhygiene und Produkte, welche auch im entferntesten Sinne die Compliance verbessern könnten, nicht. Uns steht der Sinn nach einem Produkt, welches die herkömmlichen Lidhygiene vereinfacht und damit besser und effizienter durchführbar macht – eine Zahnbürste fürs Auge, quasi. Erste Überlegungen gingen tatsächlich dahin, eine elektrische Zahnbürste zu modifizieren, wofür wir sogar einen 3D-Druck Grundlagenkurs besuchten. An der technischen Versiertheit scheiterte es allerdings, denn weder Anja noch ich hatten im Schul-Physikunterricht (der bei uns beiden schon einige Jahre zurückliegt) gut genug aufgepasst, um eine Modifikation bewerkstelligen zu können.

Zudem sprach die Zeit, sich das nötige Wissen dafür aneignen zu können, gegen uns und für die Bachelorthesis würde eine solche eigenständige Entwicklung den Rahmen sprengen. Weshalb wir für unsere Studienarbeit zwar auf dem Gebiet des Trockenen Auges forschten, allerdings mit einem bestehenden Mittel, welches wir in einem der namhaften Onlineshops bezogen. Die Forschung mit besagtem Gerät, erbrachte uns aufgrund unserer kleinen Stichprobengrösse zwar wenig signifikante Ergebnisse, jedoch umso mehr den Glauben an das Potential und den Nutzen, welches ein derartiges weiterentwickeltes Produkt haben kann.

BWL – doch nicht so trocken, wie man meint

Somit spielte es uns direkt in die Hände, dass wir zeitgleich mit dem Beginn unserer Studienarbeit im Modul BWL aufgefordert wurden, ein Semester lang an einer möglichen Businessidee zu feilen. Dadurch setzten wir uns also zusätzlich intensiv mit einer möglichen Produktentwicklung und einem dazu passenden Geschäftsmodell auseinander. Durch mehrere interessante Advisorgespräche mit Fachpersonen der Branche sowie Problem- und Lösungsgesprächen mit möglichen Kunden vertiefte und verfestigte sich die Idee, die Lidhygiene zu revolutionieren immer mehr.

Die sonst so trocken anmutende BWL stellte sich dadurch als erfrischend, innovativ und interessant dar und man fragte sich direkt, ob man nicht doch den falschen Studiengang gewählt hat. Des Weiteren konnte uns das positive und negative Feedback sowie die Zusammenarbeit mit allen drei Dozierenden, welche in diesem Workshop involviert waren, erste wertvolle Anregungen und Tipps auf dem Weg ins Unternehmertum geben, weshalb wir uns auf die Suche nach weiteren Kursen in diesem Spektrum machten, welche von der FHNW angeboten werden.

Was die FHNW zusätzlich zu bieten hat

Jedes Jahr in den Winterferien findet das Modul Winter School Entrepreneurship4 (oder das Pendant Summer School Entrepreneurship in den Sommerferien) in Kooperation mit der Innosuisse statt, welches „aus erster Hand Einblicke in die dynamische Arbeitswelt der Unternehmerinnen und Unternehmer“4 bietet. Dabei werden innerhalb eines einwöchigen Intensivkurses unternehmensrelevante Fragestellungen wie beispielsweise nach dem Businessplan und Geschäftsmodell, der Kapital-, Kunden- und Mitarbeiterakquise praxisnah beleuchtet. Auch der grossen Frage: „Eigne ich mich überhaupt als Unternehmer bzw. Unternehmerin?“ kann man sich stellen.

Das Spannende an einem solchen Entrepreneurship-Kurs ist, dass unterschiedliche Gründungspersonen, die teilweise sogar selbst FHNW-Absolventen und Absolventinnen sind, ihre eigenen Erfahrungen zu verschiedenen Themengebieten des Gründertums vortragen. Zudem können alle Studierenden der FHNW an diesen Kursen teilnehmen, so dass der Erfahrungsaustausch sowohl mit den vortragenden Unternehmern und Unternehmerinnen als auch mit den Studierenden anderer Studiengänge unschätzbar lehrreich ist.

Alle Inputs, welche man während dieser intensiven Woche sammelt, können in die eigene Geschäftsidee einfliessen und zum Schluss gepitcht werden. Ein besonderer Anreiz ist, dass man – wenn man die Jury mit seiner Geschäftsidee an diesem Pitch überzeugen kann – für die Start-up Challenge der FHNW und des Start-up-Forum Aargau5 nominiert wird. Genau das ist uns mit der Teilnahme an der Winter School gelungen.

Start-up und Challenge für die Produktentwicklung

Die Nomination für die Start-up Challenge der FHNW war also ein Grund mehr, um unsere Idee in die Tat umzusetzen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Theoretisch wussten wir nun einmal mehr, wo unsere Reise hingehen soll, aber praktisch besitzen, wie bereits erwähnt, weder Anja noch ich das notwendige Knowhow ein Produkt zu entwickeln, geschweige denn eines herzustellen.

Ein Gutes hat es also, dass der Studiengang Optometrie als Gesundheitsberuf der Hochschule für Technik und Umwelt angegliedert ist. Wo sonst, wenn nicht hier, sollten doch technikaffine Tüftler aufzutreiben sein! Kurzentschlossen durchwälzten wir die „World-Wide-Webseiten“ der FHNW und suchten nach Anlaufstellen, die für eine Zusammenarbeit mit uns in Frage kamen.

Über das Institut für Produkt- und Produktionsengineering der FHNW kamen wir somit mit Stefan Kobler und Pascal Schleuninger in Kontakt. Beide dozieren an der FHNW und fanden, dass diese mögliche Zusammenarbeit einen Projektauftrag wert sei, obwohl es eher ungewöhnlich ist, dass Selbst-Studierende die Auftraggeber einer solchen darstellen. So konnten wir die Studierenden Daryl Hartman (Studiengang Maschinenbau) und Armando Martinoli (Studiengang Systemelektronik) für unsere Produktidee gewinnen. Sie sind nun unsere tüftelnden Hände mit den notwendigen Kenntnissen, welche uns seit September 2024 im Rahmen ihrer eigenen Studienarbeit ein Funktionsmuster entwickeln.

Apropos Start-up Challenge – da war doch noch etwas…

Ein erster, wenn auch kleiner, Meilenstein auf dem Weg zum Gründerdasein ist uns mit der Nomination für die Start-up Challenge der FHNW und des Start-up-Forum Aargau 2024 gelungen. Wer für diese nominiert wird, hat die Chance unter einen der ersten fünf Plätze zu kommen und ein Preisgeld in der Höhe zwischen 500.- und 4000.- CHF zu gewinnen. Zu den Teilnahmebedingungen gehören u.a., dass man ein einminütiges Video und ein Summary zu seinem Projekt einreicht. Die Festlegung der Top 5 erfolgt dann durch die Standortförderung des Kantons Aargau und die UBS.

Am 24.10.2024 fand die Preisverleihung im Campussaal der FHNW in Brugg-Windisch statt. Mit unserer Start-up-Idee meye-well waren wir natürlich nicht die Einzigen, die für eines der fünf besten Start-ups des Start-up-Forums Aargau 2024 ausgewählt werden konnten. Grossartige Ideen, wie „Zämä cho“, „Talentbridge“, „Pump Soda“, „Meyer Curls“, „Metalfusion“, uvm. stellten eine grosse Konkurrenz dar. Deshalb waren wir auch ziemlich überrascht, als, nachdem die Plätze 5 bis 3 bereits vergeben waren, plötzlich unsere Start-up-Idee meye-well für den 2. Platz aufgerufen wurde. Fassungslos, überwältigt, erfreut und stolz wurde uns auf der Bühne gratuliert und eine Urkunde für den 2. Platz überreicht, mit welchem wir ein Preisgeld von 2000.- CHF gewonnen haben.

Zukunftssache

Mit dieser Auszeichnung eine Wertschätzung vor allem auch ausserhalb der Optik- und Optometriebranche zu erhalten, tut unheimlich gut. Uns ist bewusst mit der Entscheidung den Weg des Start-ups und Gründertums einzuschlagen, warten nicht nur eine, sondern viele grosse Herausforderungen auf uns.

Im Herbst entschieden wir uns noch dazu am weiterführenden Innosuisse-Modul-Business-Concept 2 teilzunehmen, zu welchen wir durch die Teilnahme an der Winter School berechtigt waren. Das ist der „grosse Bruder“ der Winter- und Summer School und über mehrere Wochen hinweg gibt einem dieser die Möglichkeit, sich wiederum mit inspirierenden Unternehmern- und Unternehmerinnen, Gründern- und Gründerinnen oder auch solchen, die es noch werden wollen, auszutauschen. Da an diesem Kurs nicht nur Studierende teilnehmen, war der Erfahrungsaustausch noch wertvoller und wir haben viel über unsere kommenden Schritte gelernt. Zum Beispiel, dass ein wichtiger nächster Schritt sein muss, den Übergang vom Funktionsmuster zum MVP (minimal viable product) zu schaffen, um unser Produkt auf „Herz und Nieren“ am Markt zu testen. Damit wir unsere Wissenslücken in Bereichen wie Technik, Finanzen u. a. zu schliessen können, müssen wir entweder gezielt Weiterbildungsmöglichkeiten suchen oder passende Mitgründer finden. Auch hinzu kommt die Suche nach potenziellen Herstellern, Partnern und Investoren, welche bereit sind, uns zu unterstützen. Dies sind nur einige der nächsten Schritte auf unserem künftigen Weg. Doch auch trotz der ganzen grossen Herausforderungen, welche in Zukunft auf uns warten, hat uns bereits der Weg bis hierhin Mut gemacht, an unserer Geschäftsidee festzuhalten und den Kurs des Start-ups und Gründertums einzuschlagen.

Gründerinnen Susann Köhler und Anja Tischhauser (v. l. n. r.). (Bild: Claudio Monstein)

Quellenverzeichnis

  1. Alghamdi YA, Camp A, Feuer W, Karp CL, Wellik S, Galor A. Compliance and Subjective Patient Responses to Eyelid Hygiene. Eye & Contact Lens: Science & Clinical Practice. 2017;43(4):213-217. doi:10.1097/ICL.0000000000000258
  2. Geerling G, Tauber J, Baudouin C, et al. The International Workshop on Meibomian Gland Dysfunction: Report of the Subcommittee on Management and Treatment of Meibomian Gland Dysfunction. Invest Ophthalmol Vis Sci. 2011;52(4):2050. doi:10.1167/iovs.10-6997g
  3. Guillon M, Maissa C, Wong S. Eyelid Margin Modification Associated With Eyelid Hygiene in Anterior Blepharitis and Meibomian Gland Dysfunction. Eye & Contact Lens: Science & Clinical Practice. 2012;38(5):319-325. doi:10.1097/ICL.0b013e318268305a
  4. Prof. Dr. Rolf Meyer, Dario Meyer, Fiona Trachsel. Winter School Entrepreneurship – Auf dem Weg zum eigenen Unternehmen. Winter School Entrepreneurship – Auf dem Weg zum eigenen Unternehmen. Accessed December 17, 2024. https://www.fhnw.ch/de/studium/wirtschaft/winter-school-entrepreneurship
  5. Stefan Philippi. FHNW Startup Challenge – Wir fördern Senkrechtstarterinnen und Senkrechtstarter. Accessed December 19, 2024. https://www.fhnw.ch/plattformen/fhnw-startup-challenge/

Zur Autorin: Susann Köhler, Studentin B.Sc. Optometrie – Fachhochschule Nordwestschweiz.

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